Die Anfänge nehmen sich bescheiden aus für den jungen Adligen, der sich gerade anschickt, in München ein Bankvolontariat anzutreten. Am 5. Januar 1955 richtet sein Mentor Dr. Hanswilly Bernartz, Präsident des Porsche-Clubs Köln, ein Schreiben an den allgewaltigen Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer. Er stellt dabei heraus, sein Schützling sei just deutscher Meister bei den Seriensportwagen bis 1.600 Kubikzentimeter geworden, ,,auf einem gebrauchten Porschewagen ohne jede Frisur”. Trips sei „ein ausgesprochener Kämpfer, von sehr großer Zähigkeit und einer ausgeprägten Naturbegabung für das Fahren”. Schließlich folgt sein Anliegen: „Ich möchte Ihnen darum nahe legen, bei Ihren demnächstigen Probefahrten auf der Solitude, in Hockenheim oder auf dem Ring dem Grafen Berghe von Trips die Möglichkeit zu geben, einmal einige Runden vor Ihren Augen zu fahren.”
Die Antwort trifft erst elf Wochen später ein. Neubauer sei aufgehalten worden, Renngeschäfte überall in der Welt. Da stauten sich die Dinge schon mal auf seinem Schreibtisch. Bernartz’ Petition ist auf steinigen Boden gefallen: „Sie werden vielleicht Zeitungsnotizen der letzten Tage entnommen haben, daß wir jährlich fast 4000 Gesuche mit dem gleichen Ansuchen beantworten müssen. Sie werden auch zugeben, daß mir dies zuviel Zeit wegnimmt und sind wir darauf übergegangen, solche Antworten per Postkarte zu erledigen, von welchen ich Ihnen eine beilege.”
Kurz nach dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans am 11. und 12. Juni 1955, das er als Reservefahrer in der Porsche-Box verbracht hat, erhält Trips dennoch ein Telegramm, er möge sich umgehend bei Oberingenieur Neubauer melden. Der Dicke, wie er hinter seinem Rücken ängstlich-respektvoll genannt wird, lädt zu Testfahrten in Hockenheim einen Tag später, im 300 SL-Flügeltürer. Drei Dinge haben ihn bewogen, seinen Bescheid noch einmal zu überdenken. Zum einen beginnen sich Empfehlungen wie die des Dr. Bernartz zu häufen. Zum anderen hat Trips beim Training zum Eifelrennen im Porsche mit der Bestzeit aufgewartet. Zum Dritten glänzte er bei der Mille Miglia Anfang Mai mit einem Kabinettstückchen, das Neubauer nicht entgangen ist: ,,Am Furka-Paß“, erzählt er Burghard von Reznicek, Redakteur der Fachzeitschrift „Motor im Bild“, in einem Interview, „hatte ich scheußliches Pech. Das war, als mir in führender Position in meiner Klasse ausgerechnet das Gaspedal wegbrach. Mit Draht habe ich es festgeklemmt und nur mit dem Zündschlüssel gearbeitet. Und es ging.” Er wurde Zweiter hinter Richard von Frankenberg.
Seine Vorstellung in Hockenheim fällt offenbar zu jedermanns Zufriedenheit aus: ,,Ich hatte kaum fünf Runden hinter mir, da machte mir das Fahren mit dieser Rakete einen solchen Spaß, daß ich im schönsten Powerslide durch die Kurven zog. Und ich sah auch, daß die Mercedes-Leute rund um die Strecke fuhren und sich ansahen, wie ich um die Kurven ging“, vertraut Trips seinem ausführlichen Tagebuch an. Als er am folgenden Tage in Untertürkheim vorstellig wird, ist Neubauer nicht anwesend. Seine rechte Hand, der Baron Alexander von Korff, hält indes in einer Aktennotiz vom 23. Juni fest: „Trips war begeistert vom Training auf dem 300 SL und meinte, daß ihm der Wagen sehr gut liegen würde. Nachdem ich ihm ausrichtete, daß er am 3. Juli zwecks weiterer Proben mit dem 300 SLR zum Nürburgring kommen sollte, und in Aussicht stellte, evtl. am 1000-krn-Rennen eingesetzt zu werden, meinte Graf Trips, daß er es sehr gerne tun würde, jedoch bei seiner Familie auf große Schwierigkeiten stoßen wird.“ So ist es: Des Edlen Eltern sehen die Renn-Aktivitäten ihres Sohnes eher mit Unbehagen. Bis vor kurzem ist Trips deshalb noch unter dem Pseudonym Axel Linther gestartet.
Die 1.000 Kilometer am Nürburgring fallen 1955 aus im schweren Schlagschatten der Katastrophe von Le Mans, die Mercedes-Pilot Levegh und über 80 Zuschauern das Leben gekostet hat. Gleichwohl bleibt es beim Stelldichein in der Eifel Anfang Juli. Der Novize radiert in seiner sechsten Runde den Traumwert von 10 Minuten und 16 Sekunden in den Asphalt des Rings, nur 20 Sekunden langsamer als Karl Kling bei seiner Bestzeit im Grand-Prix-Wagen W196 während des Großen Preises von Deutschland im Jahr zuvor.
Am 6. Juli beordert ihn ein Telegramm Neubauers zum Großen Preis von Schweden in Kristianstad am 7. August. Man beabsichtige, ihn mit dem 300 SL bei den Grand-Tourisme-Wagen einzusetzen. Drei Wochen später trifft ein Brief der Direktion der Daimler-Benz AG auf seiner heimischen Burg Hemmersbach bei Horrem ein. Man verheißt Trips eine Startgarantie von 1.000 Mark, dazu „das Startgeld der Firma Continental, Hannover, in Höhe von DM 250.– sowie ein Taggeld im Gegenwert von 20 Dollar für die Zeit der Abfahrt von Ihrem Standort bis nach Beendigung dieser Aufgabe bei uns“.
Auf seiner Reise nach Schweden trifft Trips in seinem zerbeulten Renn- und Reise-Porsche, der Neubauer umgehend zum Ärgernis gereicht, in Dänemark auf den „imposanten Mercedes-Konvoi”. Dass er im Training schneller unterwegs ist als der etablierte Karl Kling, trägt ihm Rüffel der Kollegen ein. Das sei doch reichlich respektlos gegenüber dem älteren Herrn so kurz vor seiner Pensionierung, gibt man ihm zu bedenken. Auch im Rennen selber liegt er vor Kling. „Das Ergebnis war aber“, merkt er selbstkritisch an, „daß ich die Bremsen, eine der Schwachstellen des 300 SL, überbeanspruchte. Rauch, Gestank und Qualm waren die ersten Warnzeichen. In einem Strohballen konnte ich meine Hoffnungen auf einen gelungenen Einstand begraben.“
Schon vor dem Großen Preis von Schweden erreicht Trips eine weitere Einberufung aus Untertürkheim zur Tourist Trophy am 17. September. Diesmal wird er streng in den Mercedes-Heerwurm eingebunden, der sich entsprechend Neubauers üblichem, pingelig ausgehecktem Marschplan unter Führung des Ingenieurs Heinz Lamm über Rastatt, Kehl, Straßburg, Luneville, Nancy, Ligny, Reims, St. Ouentin, Peronne, Hazebrouck, Dünkirchen, Dover, London, Newport und Preston bis ins nordirische Larne in der Nähe des Kurses von Dundrod windet. Um sich mit dem 300 SLR vertraut zu machen, lenkt Trips dabei eine straßentaugliche Version des Rennsportwagens, das so genannte Uhlenhaut-Coupe. Seinen offenen Renn-SLR Roadster teilt Trips mit dem Franzosen André Simon, ist allerdings nicht böse drum, als Karl Kling in der Schlussphase der Tourist Trophy die dritte Schicht übernimmt. Simon fühlte sich überfordert, war nach wenigen Runden im Regen mit resignierender Gebärde an die Box zurückgekehrt. Nur – Trips ist müde: ,,Ich hatte bis dahin kaum Luft schöpfen können, mußte jetzt aber unverzüglich weiter- fahren. Als ich zum vorgeschriebenen Tanken etwa eine halbe Stunde vor Rennende wieder an die Box fuhr, war ich am Ende meiner Kräfte.“
Gemeinsam belegt man hinter den Mercedes-Kollegen Stirling Moss/John Fitch und Fangio/Kling immerhin den dritten Rang. Honoriert wird dieser mit der Hälfte des Startgeldes und allen Prämien, abzüglich 10 Prozent für das Team. Allerdings ereilt Trips fünf Wochen später ein Schreiben Neubauers, in dem sich dieser zu einem nachträglichen kleinen Aderlass veranlasst sieht: ,,Ich hatte vergessen, Ihnen die so genannte Mechanikerprämie abzuziehen. Jeder der drei Hauptmechaniker erhält nämlich, wenn der Wagen den 1., 2. oder 3. Platz erzielt, DM 100.–. Diese Prämie entfällt je zur Hälfte auf Sie und Herrn Kling, weshalb ich Sie höflich bitten möchte, an meine Adresse im Werk Untertürkheim per Post den Betrag von DM 150.– zusenden zu wollen.” Der Brief ist datiert am 24. Oktober 1955. Offenbar räumt Neubauer seinen Schreibtisch auf: Zwei Tage zuvor hat Daimler-Benz auf der jährlichen Abschluss- und Siegesfeier seinen Rückzug aus der Formel 1 und der Markenweltmeisterschaft erklärt. Arbeitslos wird Trips deswegen nicht, nimmt sein Volontariat in München wieder auf, strapaziert den geschundenen Porsche und wird ab 1956 auch auf Werkswagen der Zuffenhausener eingesetzt.
Bei Daimler-Benz hat er gleichwohl einen guten Eindruck hinterlassen. Bei der Mille Miglia am 28. und 29. April 1956 sind Neubauer & Cie. für so manchen Beobachter überraschend mit von der Partie. In den Worten des AvD-Organs „Automobil Revue“ sieht das so aus: „Mercedes war diesmal wieder dabei, mit einem illustren Stab, an der Spitze die Renndirektoren Neubauer und Uhlenhaut, mit fast einem Dutzend Werksmonteuren. Es war eine Starbesetzung in der Betreuung für die Privatfahrer. Außerdem setzte das Werk zwei 300 SL mit Graf Trips und Fritz Riess und drei modifizierte Typen des Modells 220 ein.”
Der Auftritt des Rheinländers ist kurz, aber spektakulär: „Graf Trips sorgte sogar auf den ersten 400 Kilometern für die Sensation, indem er auf dem serienmäßigen SL vor den zum Teil stärkeren Spezial-Rennsportwagen in der Gesamtwertung führte“, berichtet das Blatt. Indes: „Dann kam sein Pech. In einer Kurve bremste ein Konkurrent plötzlich scharf, als Trips zum Überholen ansetzte. Um nicht mit dem sich drehenden Wagen zu kollidieren, zog er den Wagen aus der Bahn.“ Ende einer Dienstfahrt.
Kurz darauf ist das Mercedes-Intermezzo des Grafen bereits Geschichte. Am 16. September 1956 hat er es mit einem Paukenschlag beendet, indem er mit dem 300 SL des Düsseldorfers Wolfgang Seidel beim Großen Preis von Berlin auf der Avus die Klasse der GT-Wagen bis 3.000 Kubikzentimeter gewann, als erfreuliches Zubrot zu seinem Sieg bei den Rennsportwagen bis 1.500 Kubikzentimeter in einem Porsche 550 RS bei der gleichen Veranstaltung. Beim Großen Preis von Schweden jenes Jahres am 12. August ist er erstmals für Ferrari gestartet, Rang zwei im Rennsportwagen 290 MM zusammen mit Peter CoIIins. Von da an nimmt das Scllicksal des Reichsgrafen Wolfgang Alexander Graf Berghe von Trips unaufhaltsam seinen Lauf.
Fotos: Trips-Stiftung/Text: Hartmut Lehbrink