Flügel-Stürmer 

Beim schwedischen Grand Prix in Kristianstad liegt Wolfgang von Trips (Nr. 34) auf Mercedes-Benz 300 SL vor seinen Teamkollegen

Die Anfänge nehmen sich bescheiden aus für den jun­gen Adligen, der sich gerade anschickt, in München ein Bankvolontariat anzu­treten. Am 5. Januar 1955 richtet sein Mentor Dr. Hanswilly Bernartz, Präsi­dent des Porsche-Clubs Köln, ein Schrei­ben an den allgewaltigen Mercedes­-Rennleiter Alfred Neubauer. Er stellt dabei heraus, sein Schützling sei just deutscher Meister bei den Seriensport­wagen bis 1.600 Kubikzentimeter gewor­den, ,,auf einem gebrauchten Porsche­wagen ohne jede Frisur”. Trips sei „ein ausgesprochener Kämpfer, von sehr gro­ßer Zähigkeit und einer ausgeprägten Naturbegabung für das Fahren”. Schließ­lich folgt sein Anliegen: „Ich möchte Ih­nen darum nahe legen, bei Ihren dem­nächstigen Probefahrten auf der Solitude, in Hockenheim oder auf dem Ring dem Grafen Berghe von Trips die Möglichkeit zu geben, einmal einige Runden vor Ihren Augen zu fahren.” 

Die Antwort trifft erst elf Wochen später ein. Neubauer sei aufgehalten worden, Renngeschäfte überall in der Welt. Da stauten sich die Dinge schon mal auf seinem Schreibtisch. Bernartz’ Pe­tition ist auf steinigen Boden gefallen: „Sie werden vielleicht Zeitungsnotizen der letzten Tage entnommen haben, daß wir jährlich fast 4000 Gesuche mit dem gleichen Ansuchen beantworten müs­sen. Sie werden auch zugeben, daß mir dies zuviel Zeit wegnimmt und sind wir darauf übergegangen, solche Antwor­ten per Postkarte zu erledigen, von wel­chen ich Ihnen eine beilege.” 

Kurz nach dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans am 11. und 12. Juni 1955, das er als Reservefahrer in der Porsche-Box verbracht hat, erhält Trips dennoch ein Telegramm, er möge sich umgehend bei Oberingenieur Neubauer melden. Der Dicke, wie er hinter seinem Rücken ängstlich-respektvoll genannt wird, lädt zu Testfahrten in Hockenheim einen Tag später, im 300 SL-Flügeltürer. Drei Din­ge haben ihn bewogen, seinen Bescheid noch einmal zu überdenken. Zum einen beginnen sich Empfehlungen wie die des Dr. Bernartz zu häufen. Zum ande­ren hat Trips beim Training zum Eifel­rennen im Porsche mit der Bestzeit auf­gewartet. Zum Dritten glänzte er bei der Mille Miglia Anfang Mai mit einem Ka­binettstückchen, das Neubauer nicht entgangen ist: ,,Am Furka-Paß“, erzählt er Burghard von Reznicek, Redakteur der Fachzeitschrift „Motor im Bild“, in ei­nem Interview, „hatte ich scheußliches Pech. Das war, als mir in führender Po­sition in meiner Klasse ausgerechnet das Gaspedal wegbrach. Mit Draht habe ich es festgeklemmt und nur mit dem Zündschlüssel gearbeitet. Und es ging.” Er wurde Zweiter hinter Richard von Frankenberg. 

Seine Vorstellung in Hockenheim fällt offenbar zu jedermanns Zufrie­denheit aus: ,,Ich hatte kaum fünf Runden hinter mir, da machte mir das Fah­ren mit dieser Rakete einen solchen Spaß, daß ich im schönsten Powerslide durch die Kurven zog. Und ich sah auch, daß die Mercedes-Leute rund um die Strecke fuhren und sich ansahen, wie ich um die Kurven ging“, vertraut Trips sei­nem ausführlichen Tagebuch an. Als er am folgenden Tage in Untertürkheim vorstellig wird, ist Neubauer nicht an­wesend. Seine rechte Hand, der Baron Alexander von Korff, hält indes in ei­ner Aktennotiz vom 23. Juni fest: „Trips war begeistert vom Training auf dem 300 SL und meinte, daß ihm der Wagen sehr gut liegen würde. Nachdem ich ihm ausrichtete, daß er am 3. Juli zwecks weiterer Proben mit dem 300 SLR zum Nürburgring kommen sollte, und in Aus­sicht stellte, evtl. am 1000-krn-Rennen eingesetzt zu werden, meinte Graf Trips, daß er es sehr gerne tun würde, jedoch bei seiner Familie auf große Schwierig­keiten stoßen wird.“ So ist es: Des Edlen Eltern sehen die Renn-Aktivitäten ihres Sohnes eher mit Unbehagen. Bis vor kurzem ist Trips deshalb noch unter dem Pseudonym Axel Linther gestartet. 

Die 1.000 Kilometer am Nürburg­ring fallen 1955 aus im schweren Schlag­schatten der Katastrophe von Le Mans, die Mercedes-Pilot Levegh und über 80 Zuschauern das Leben gekostet hat. Gleichwohl bleibt es beim Stelldichein in der Eifel Anfang Juli. Der Novize radiert in seiner sechsten Runde den Traum­wert von 10 Minuten und 16 Sekunden in den Asphalt des Rings, nur 20 Sekunden langsamer als Karl Kling bei seiner Bestzeit im Grand-Prix-Wagen W196 während des Großen Preises von Deutsch­land im Jahr zuvor. 

Das schwedische Rennen am 7. August 1955 ist der erste Einsatz von Graf Trips auf einem Mercedes-Werkswagen

Am 6. Juli beordert ihn ein Tele­gramm Neubauers zum Großen Preis von Schweden in Kristianstad am 7. Au­gust. Man beabsichtige, ihn mit dem 300 SL bei den Grand-Tourisme-Wagen einzusetzen. Drei Wochen später trifft ein Brief der Direktion der Daimler-Benz AG auf seiner heimischen Burg Hemmersbach bei Horrem ein. Man verheißt Trips eine Startgarantie von 1.000 Mark, dazu „das Startgeld der Firma Conti­nental, Hannover, in Höhe von DM 250.­– sowie ein Taggeld im Gegenwert von 20 Dollar für die Zeit der Abfahrt von Ihrem Standort bis nach Beendigung dieser Aufgabe bei uns“.

Auf seiner Reise nach Schweden trifft Trips in seinem zerbeulten Renn- und Reise-Porsche, der Neubauer umgehend zum Ärgernis gereicht, in Dänemark auf den „imposanten Mercedes-Konvoi”. Dass er im Training schneller unter­wegs ist als der etablierte Karl Kling, trägt ihm Rüffel der Kollegen ein. Das sei doch reichlich respektlos gegenüber dem älteren Herrn so kurz vor seiner Pen­sionierung, gibt man ihm zu bedenken. Auch im Rennen selber liegt er vor Kling. „Das Ergebnis war aber“, merkt er selbst­kritisch an, „daß ich die Bremsen, eine der Schwachstellen des 300 SL, über­beanspruchte. Rauch, Gestank und Qualm waren die ersten Warnzeichen. In einem Strohballen konnte ich meine Hoffnungen auf einen gelungenen Ein­stand begraben.“ 

Großer Preis von Schweden in Kristianstad 1955: Graf Trips im Mercedes 300 SL passiert den ausgeschiedenen Ferrari 750 Monza von Gunnar Carlsson.

Schon vor dem Großen Preis von Schweden erreicht Trips eine weitere Einberufung aus Untertürkheim zur Tourist Trophy am 17. September. Diesmal wird er streng in den Mercedes-Heerwurm eingebunden, der sich entsprechend Neubauers üblichem, pingelig ausge­hecktem Marschplan unter Führung des Ingenieurs Heinz Lamm über Rastatt, Kehl, Straßburg, Luneville, Nancy, Lig­ny, Reims, St. Ouentin, Peronne, Haze­brouck, Dünkirchen, Dover, London, Newport und Preston bis ins nordirische Larne in der Nähe des Kurses von Dundrod windet. Um sich mit dem 300 SLR vertraut zu machen, lenkt Trips dabei eine straßentaugliche Version des Rennsportwagens, das so genannte Uhlenhaut-Coupe. Seinen offenen Renn-SLR Roads­ter teilt Trips mit dem Franzosen André Simon, ist allerdings nicht böse drum, als Karl Kling in der Schlussphase der Tou­rist Trophy die dritte Schicht übernimmt. Simon fühlte sich überfordert, war nach wenigen Runden im Regen mit resig­nierender Gebärde an die Box zurück­gekehrt. Nur – Trips ist müde: ,,Ich hatte bis dahin kaum Luft schöpfen können, mußte jetzt aber unverzüglich weiter- fahren. Als ich zum vorgeschriebenen Tanken etwa eine halbe Stunde vor Renn­ende wieder an die Box fuhr, war ich am Ende meiner Kräfte.“

22. Tourist Trophy am 18. September 1955 auf dem Straßenkurs von Dundrod (Irland), wo Trips zusammen mit dem Franzosen André Simon den dritten Platz belegt

Gemeinsam belegt man hinter den Mercedes-Kolle­gen Stirling Moss/John Fitch und Fan­gio/Kling immerhin den dritten Rang. Honoriert wird dieser mit der Hälfte des Startgeldes und allen Prämien, abzüglich 10 Prozent für das Team. Allerdings ereilt Trips fünf Wochen spä­ter ein Schreiben Neubauers, in dem sich dieser zu einem nachträglichen kleinen Aderlass veranlasst sieht: ,,Ich hatte vergessen, Ihnen die so genannte Mechanikerprämie abzuziehen. Jeder der drei Hauptmechaniker erhält näm­lich, wenn der Wagen den 1., 2. oder 3. Platz erzielt, DM 100.–. Diese Prämie entfällt je zur Hälfte auf Sie und Herrn Kling, weshalb ich Sie höflich bitten möchte, an meine Adresse im Werk Un­tertürkheim per Post den Betrag von DM 150.– zusenden zu wollen.” Der Brief ist datiert am 24. Oktober 1955. Offenbar räumt Neubauer seinen Schreibtisch auf: Zwei Tage zuvor hat Daimler-Benz auf der jährlichen Ab­schluss- und Siegesfeier seinen Rückzug aus der Formel 1 und der Markenwelt­meisterschaft erklärt. Arbeitslos wird Trips deswegen nicht, nimmt sein Vo­lontariat in München wieder auf, strapaziert den geschundenen Porsche und wird ab 1956 auch auf Werkswagen der Zuffenhausener eingesetzt. 

Am 22. Oktober 1955 zieht sich Mercedes vom Grand-Prix-Sport zurück. Das Abschiedsfoto zeigt den baden-württembergischen Wirtschaftsminister Dr. Hermann Veit, Hans Scherenberg, Rennleiter Alfred Neubauer, Fritz Nallinger, Rudolf Uhlenhaut, André Simon (verdeckt), Piero Taruffi, Juan Manuel Fangio, Wolfgang Graf Berghe von Trips, Werner Engel, Stirling Moss, Olivier Gendebien, Gilberte Thirion, John Fitch, Hans Herrmann, Hans Taund Peter Collins (v.l.n.r.).

Bei Daimler-Benz hat er gleichwohl einen guten Eindruck hinterlassen. Bei der Mille Miglia am 28. und 29. April 1956 sind Neubauer & Cie. für so manchen Beobachter überraschend mit von der Partie. In den Worten des AvD-Organs „Automobil Revue“ sieht das so aus: „Mercedes war diesmal wieder dabei, mit einem illustren Stab, an der Spitze die Renndirektoren Neubauer und Uhlenhaut, mit fast einem Dutzend Werksmonteuren. Es war eine Starbesetzung in der Betreuung für die Privatfahrer. Außerdem setzte das Werk zwei 300 SL mit Graf Trips und Fritz Riess und drei modifizierte Typen des Modells 220 ein.” 

Der Auftritt des Rheinländers ist kurz, aber spektakulär: „Graf Trips sorgte so­gar auf den ersten 400 Kilometern für die Sensation, indem er auf dem serien­mäßigen SL vor den zum Teil stärkeren Spezial-Rennsportwagen in der Ge­samtwertung führte“, berichtet das Blatt. Indes: „Dann kam sein Pech. In einer Kur­ve bremste ein Konkurrent plötzlich scharf, als Trips zum Überholen an­setzte. Um nicht mit dem sich drehenden Wagen zu kollidieren, zog er den Wagen aus der Bahn.“ Ende einer Dienstfahrt. 

Graf Trips vor dem Start zum legendären Langstrecken-Klassiker, der XXIII. Mille Miglia (1000 Meilen von Brescia), am 29. April 1956

Kurz darauf ist das Mercedes-Intermezzo des Grafen bereits Geschichte. Am 16. September 1956 hat er es mit einem Pau­kenschlag beendet, indem er mit dem 300 SL des Düsseldorfers Wolfgang Seidel beim Großen Preis von Berlin auf der Avus die Klasse der GT-Wagen bis 3.000 Kubikzentimeter gewann, als erfreuliches Zubrot zu seinem Sieg bei den Rennsportwagen bis 1.500 Kubikzentimeter in einem Porsche 550 RS bei der gleichen Veranstaltung. Beim Großen Preis von Schweden jenes Jahres am 12. August ist er erstmals für Ferrari gestartet, Rang zwei im Rennsportwagen 290 MM zusammen mit Peter CoIIins. Von da an nimmt das Scllicksal des Reichsgrafen Wolfgang Alexander Graf Berghe von Trips unaufhaltsam seinen Lauf.

Fotos: Trips-Stiftung/Text: Hartmut Lehbrink